Sola
Misaki wählte eines der Brotscheiben aus und erklärte mir wie ihr damaliger Clan das Fest zu Ehren ihrer Vorfahren abgehalten hatte. Dabei fiel mir auf, dass die Idee mit dem Nutzvieh im Grunde gar nicht mal so schlecht war. Allerdings schlug ich es aus bei uns einzuführen. Wir waren seit eh und je als Jager-, Sammler- und Erntnervolk bekannt gewesen und so sollte es auch bleiben. Vielleicht war es auch ganz gut die Jagt in diesen Maßen bei zu behalten, um den animalischen Trieben der Raubtiere, die nun mal jeder von uns inne wohnen hatte, ausgleich zu verschaffen. Dustan und Selmon waren ein Paradebeispiel dafür, immer die letzte Zeit vor jedem Vollmond waren sie sich noch häufiger am Raufen als sonst und wenn die Jagt vorbei war, könnte man schon fast meinen sie seinen die besten Freunde. Meine Gedanken trübten sich, als mir bewusst wurde, dass ich an Dustan denken musste. Doch war er eben ein fester Bestandteil meines Lebens und ich wusste wirklich nicht was ich tun würde, wenn er nicht wieder gesund würde. Ich hatte schon einmal einen Bruder verloren und wollte es nicht wieder erleben. Es tat einfach zu sehr weh einen geliebten Menschen zu verlieren...
Misaki holte mich dann aus dem Gedankentief wieder zurück in das hier und jetzt, indem sie sich lieber dafür entschied Kuro bei der Vorbereitung für das Mahl zu helfen. Prompt wurden meine Vorstellungen zum bevorstehenden Fest katapultiert und ich spürte wie die Nervosität in mir hoch schlich.
Die Jagt war es, wovon ich mir schon als kleines Mädchen immer viel versprochen hatte. Die Jagt, von der ich schon so viele Schilderungen und unglaubliche Erzählungen zu hören bekommen hatte, die einen regelrecht vor staunen den Atem raubten. Die Jagt, vor der ich in den letzten Tagen hatte versucht zu flüchten und es trotzdem nicht geschafft hatte. Sie hatte mich nun bald eingeholt und dies wurde mir nun bewusst und unbewusst begann meine Lippen zu schützen und gedankenverloren auf der Innenseite meiner Wange zu kauen, fast schon Löcher hinein zu beißen vor Besorgnis.
Dann wurde mit den Worten der lieblichen Stimme meines Gegenübers meine Gedankenwelt wieder zurück zu dem geschundenen Dustan geschleudert, der seit seiner Patrouille vor einigen Tagen im Heilzentrum eingezogen war. Die Sorgen um meine eigene Persönlichkeit, was geschehen würde wenn ich mich bei dir Jagt nicht verwandeln könnte, wurde von der Besorgnis um Dustan abgelöst. Ich sah mit getrübten Blick zu Misaki. "Helia hat zwar klingen lassen, dass es ihm zunehmend besser geht, wir uns aber trotzdem dessen nicht all zu sicher sein sollten..." ich ließ meinen Blick von ihr ab gleiten auf das rustikal hölzerne Frühstücksbrett vor mir. Um Kraft zu schöpfen sog ich einmal tief die Luft in meine Lungen ein, um sie dann mit einem gedehnten Ausatmen wieder ins Freie zu entlassen. Ich blickte auf in die wunderschönen saphirblauen Augen meiner Misaki. "Ich werde ihn besuchen gehen." noch bevor ich auf stand zögerte ich kurz ehe ich dem hinzu fügte, "Sei bitte nicht böse, aber ich glaube es ist erst mal besser, wenn du dich vom Heilzentrum fern hälst, solange Dustan noch schwer verwundet ist. Ich will nicht dass irgendjemand auf dumme Gedanken kommt und noch glaubt du hättest etwas mit der Sache zu tun." War ich auf die Kleinere zu gegangen und hatte einen Arm um sie gelegt um sie an mich zu drücken, während ich ihr einen Kuss auf den Scheitel sandte. "Treffen wir uns zum Mittag hier?" Fragte ich meine Blume denn ich wollte erstens wieder mehr Zeit mit ihr verbringen und zweitens hatte ich ihr etwas zu sagen was ich ihr nicht vorenthalten wollte, nur gehörte es nicht an den Frühstückstisch. Dann machte ich mich auf zu Dustan.
Im Krankenflügel einbiegend in dem mein guter Freund stationiert war, kam mir Lingen entgegen. Wir grüßen uns und ich fragte ihn nach Dustans Wohlbefinden. Ein grinsen war von Lingen zu erkennen. Das reichte mir als Antwort, denn beschleunigte ich sofort daraif meine Schritte und kam erst im Türrahmen von Dustans Zimmer zum stehen. Er war wach und sah mich erschrocken an, vermutlich weil ich so herbei gestürmt kam. "Sola?" Seine verwunderte Stimme war noch rau und geschwächt, doch brach sie nicht mehr und wirkte im Vergleich zu vorher erholter. "Was ist los?" Fragte der Kalk bleiche fast-zwei-Meter-Riese aus seinem Krankenbett heraus. Erleichterung ließ mich stoßen ausatmen und ich konnte nicht anders als breig zu lächeln. Ohne weitere Worte ging ich nun deutlich beruhigter auf ihn zu bis ich mich an der Bettkante hinsetzte. "Alles in Ordnung." lächelte ich ihn glücklich an und seine angespannte Körperhaltung erschlaffte, er ließ seinen Kopf wieder zurück in das Kissen fallen. Ich betrachtete meinen langjährigen besten Freund. "Wie fühlst du dich?" "Blendend," grinste er schwach aber ironisch, "es ging mir nie besser." Ich sah ihn auf sein Kommentar hin vorwurfsvoll an, jedoch war ich zu erleichtert um mich darüber zu ärgern. "Sieht aus als wärst du übern Berg, huh?" Tätschelte ich ihm herzlich die Hand. Der Braunhaarige nickte zustimmend. "Sowas ähnliches hat Lingen auch gesagt und ich bin froh drüber." lächelte er und ich musste einfach es ihm gleich tun, denn hatte ich wirklich für eine Zeit lang angenommen ihn nie wieder seine Mine regen zu sehen. Doch dann verdunkelte sich sein Gesicht und er sah ernst zu mir. "Das was ich dir gesagt habe... über..." "Schon gut, du brauchst nicht weiter reden. Ich weiß, er ist wieder da. Und ich hatte Misaki gleich geglaubt als sie es mir erzählt hatte, aber du weißt wie die Ältesten sind: viel zu lange Diskussionen und kommen nie auf ein Ergebnis." ich legte eine kurze Pause ein ehe ich erneut leicht verärgert das Wort ergriff. "Hach, ich hätte sofort handeln sollen als ich von seiner Wiederkehr erfahren hatte! ... Es tut mir leid, dass gerade du es auf diese grausame Weise erfahren musstest..." "Es ist nicht deine Schuld." Auf diese Worte schwieg ich. "Sola." Sagte er mahnend, denn er wusste mit großer Wahrscheinlichkeit, dass ich mir trotz allem die Schuld für das vorgefallene gab. Dem war auch tatsächlich so. Doch es stimmte ja auch! Hätte ich es damals geschafft Talon zu töten, hätte ich tausende von Leben gerettet! Dann hätte ich uns allen das Leid erspart und wäre vermutlich sogar noch in der Lage mich ohne Probleme in meine zweite und vor allem in dritte Form zu verwandeln! Na gut, das letzte konnte ich nicht hundert prozentig bestimmen und es könnte auch an etwas anderem liegen, jedoch war es eine der logischsten Erklärungen dafür, warum ich nicht mehr im Stande war mich zu verwandeln. Zumindest warum es mir so große Schwierigkeiten bereitete. "Gib dir nicht die Schuld an allem. Du bürdest dir zu viel auf." Meinte Dustan mit ehrlicher brüderlicher Liebe. Ich zog meine Mundwinkel zwar als Reaktion darauf hoch, jedoch lächelte ich nicht. "Vielleicht hast du recht." Sah ich von ihm weg in den ansonsten leeren aber kleinen Raum. Dann stand ich auf. "Wie auch immer." Sagte ich und klopfte kameradschaftlich auf sein Schienbein unter der Decke. "Halt die Ohren steif!" Grinste ich fast schon schadenfroh, da ich wusste wie überfürsorglich Helia bei ihren schweren Fällen sein konnte und wie sehr es Dustan hasste betüddelt zu werden. "Jap." Klang es seufzend, fast schon hoffnungslos verloren, von ihm.
Als ich gerade den ersten Schritt in den Flur getan hatte, hörte ich erneut Dustans Stimme. "Sola?" Ich hielt inne und drehte mich um. "Ja?" "Er wollte dass ich dir etwas ausrichte, wenn ich überlebe." Bei diesen Worten versiegte mein Lächeln und mein Puls begann sich zu beschleunigen. Mit staubtrockener Kehle glaubte ich mein eigenes Herz lautstark in meinen Ohren wiederhallen zu hören, während ich gespannt wartete was nun folgen würde. "Er sagte,", setzte Dustan an, "er freue sich auf ein Wiedersehen mit dir und..." den Rest wollte mir Dustan anscheinend nicht zumuten, doch konnte er mir doch nicht einfach halbe Informationen liefern und das wars! Aufgewühlt und neugierig hagte ich mit dünner Stimme nach. "'Und'...?" Dustan sah mir fest in die Augen. "Und dieses mal würde er es beenden."
Ich wusste nicht mehr wie lange ich einfach nur ins leere gestarrt hatte, doch dann besann ich mich wieder und nickte Dustan zu. "Danke." Meinte ich ernst und aus tiefster Seele ehrlich.
Den Rest bis zum Mittag hin war ich damit beschäftigt mit Duncan und Lloyd, dem Vater von Jake und außerdem einer der ausgezeichnetesten und erfahrensten Jäger sowie treusten Krieger, das Fest durch zu planen. Als es Zeit würde etwas essbaren zu finden und wir uns auflösten, rief ich meinen Beta zu mir. Die gesamte Situation war sehr kühl, fast schon frostig. Er war immer noch loyal unf beratend mir gegenüber, doch fehlte mir das Persönliche, seine persönliche Art. Als er vor mir stand begann ich Reue zu spüren, wie in jenem Moment in dem er mich auf meinen Befehl hin im Thronsaal verlassen hatte. "Hör zu... es... es tat mir leid." Ich brachte es nicht übers Herz ihn an zu blicken. "Ich hätte nie so mit dir reden dürfen." "Nein, du hattest recht." Klang die dunkle Stimme. Ich sah schockiert zu ihm auf. "Hatte ich nicht!" Sagte ich verzweifelt. "Und das weißt du!" "Ich bin nicht in der Position um dich zu belehren. Ich bin bloß der Beta. Du bist es die Alpha ist, du bist die Anführerin des Clans. So wie deine Eltern vor dir und dessen Eltern." "Duncan, ich bin doch nur eine Person. Eine unglaublich dumme und arrogante dazu. Ich mache Fehler, so wie alle anderen. Ich bin nun mal nicht perfekt - und das weißt du!" ich bemühte mich um einen seichten Ton doch gelang es mir nicht immer meine Stimme gesenkt zu halten. Der Mann vor mir schien die gesagten Worte zu verarbeiten. Unschlüssig was er sagen sollte öffnete er einige male den Mund nur um ihn wider zu schließen. Dann als ich glaubtewürde wieder ein Leerlauf werden, begann er mit seiner Antwort. "Das weiß ich doch." seine zuvor steinernde Mine wurde von Gefühlen geprägt weich und leidend. "Ich hatte mir in dem Augenblick Sorgen gemacht, ich wusste nicht was ich sage." "Du brauchst dich dafür nicht zu entschuldigen. Du wusstest es sehr wohl und das ist gut. ... ich ... für mich seit ihr, du und Dustan, meine nächste Familie." Vorsichtshalber ließ ich Misaki bei diesem Part aus, da ich verhindern wollte dass sich Duncan aufregt, auch wenn ich sie mir aus meinem Leben gar nicht mehr weg denken konnte. "Ihr seit alles was mir von früher geblieben ist." Sagte ich und riss mich zusammen nicht zu weinen. Duncan sah gütig auf mich hinab, dann legte er eine Hand auf meine Schulter und lächelte. Er lächelte. Die Gefühle überwältigen mich und ich umarmte den riesiegen Mann der mich unter seine Fittiche genommen hatte seit meine Eltern ermordet worden waren.
Da grummelte mein Magen und Duncan begann tief zu glucksen. "Du solltest etwas essen gehen." Meinte er und der alte Duncan war nun wieder da. Ich nickte und verließ sein Haus.
Bei mir angekommen hoffte ich Misaki anzutreffen, da ich ihr viel zu berichten hatte. Ich wollte ihr die Dringlichkeit bewusst machen, dass wir ein weiteres mal mit den Ältesten sprechen mussten und es dieses mal zu einem Ergebnis führen musste. Vor allem nach dem was ich heute in Erfahrung gebracht hatte, vor allem nach Talons Nachricht.